Unter dem Begriff „Naturtherapie“ werden verschiedene Psychotherapie-Ansätze zusammengefasst, die das Erleben der Natur für psychotherapeutische Zwecke einsetzen. Dabei wird das Naturerleben sowohl praktisch als auch theoretisch in den jeweiligen psychotherapeutischen Bezugsrahmen der vier großen Psychotherapie-Richtungen eingebunden. Dementsprechend existiert eine verhaltenstherapeutische Naturtherapie, eine tiefenpsychologische Naturtherapie usw.
Die bekanntesten Ansätze der Naturtherapie im deutschsprachigen Raum
- Existenzialpsychologisch fundierte Naturtherapie (tiefenpsychologisch)
- – Achtsamkeitsbasierte Naturtherapie (humanistisch)
- Systemische Naturtherapie (systemisch)
- Integrative Naturtherapie (verhaltenstherapeutisch)
Auch die Therapieformen Tiergestützte Therapie, Gartentherapie, Wildnistherapie, Landschaftstherapie etc. werden teilweise in der Psychotherapie genutzt und daher manchmal unter dem Oberbegriff „Naturtherapie“ geführt. Daneben gibt es auch TherapeutInnen, die ohne ein spezielles naturtherapeutisches Konzept mit ihren KlientInnen in die Natur gehen. Hier würde man nicht mehr von Naturtherapie sprechen, da ein psychotherapeutischer Bezugsrahmen fehlt.
Grundannahmen und Ziele der Naturtherapie
Allen naturtherapeutischen Richtungen gemeinsam ist die Auffassung, dass der Mensch mit seinem Denken, Fühlen und Handeln ebenfalls Natur ist, sich jedoch durch die naturferne Lebensweise in der westlichen Gesellschaft zunehmend von den natürlichen Lebensprozessen entfremdet. Intensive Erfahrungen mit der natürlichen Mitwelt sollen zu einer Wiedereinbindung in den Naturzusammenhang führen und so die geistig-seelische Widerstandskraft und Anpassungsfähigkeit stärken. Zudem soll die Therapie die KlientInnen dazu befähigen, sich für den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen einzusetzen sowie einen zukunftsfähigen Lebensstil zu entwickeln.
Beispielhafte Methoden und Interventionen der Naturtherapie
- Achtsamkeitsübungen in der Natur
- Kreative Methoden (z.B. Musizieren, Mythenspiel, Gestaltung mit Naturmaterial)
- Arbeit mit Natursymbolen
- Therapeutisches Wandern oder Pilgern
- Heilungs- und Übergangs-Rituale (z.B. VisionQuest)
- Meditation / Kontemplation
- Freies Umherstreifen uvm.
Naturtherapie kann in der Einzeltherapie oder in Gruppen stattfinden, TherapeutIn und KlientIn können gemeinsam draußen sein oder die KlientIn geht allein in die Natur. Wichtig ist, dass die Natur- und Selbsterfahrungen im anschließenden therapeutischen Gespräch gehört, gewürdigt und für die Persönlichkeitsentwicklung der KlientIn nutzbar gemacht werden. Auf welche Weise dies geschieht, hängt wiederum von vielen Faktoren ab, z.B. der Therapierichtung (s.o.), der Diagnose, der Persönlichkeit von KlientIn und TherapeutIn sowie dem Entwicklungsprozess der KlientIn.
Für wen ist Naturtherapie geeignet?
Naturtherapie eignet sich insbesondere für Menschen, die gerne draußen sind. Besondere Vorkenntnisse sind nicht erforderlich. Auch die Diagnose spielt eine untergeordnete Rolle, da naturtherapeutische Methoden und Settings sehr flexibel an die individuellen Bedürfnisse angepasst werden können. So kann Naturtherapie sowohl für psychisch gesunde als auch sehr kranke Menschen hilfreich sein und bietet für jede Art psychischer Belastung ein passendes Setting. Sofern die TherapeutIn Möglichkeiten und Grenzen verantwortungsvoll abwägt, können sogar psychotische oder akut suizidale KlientInnen davon profitieren. In diesen Fällen würde man die KlientIn selbstverständlich auf ihrem Naturgang begleiten und ausschließlich Ich-stützend in einer angenehmen Umgebung arbeiten. Auf diese Weise kann die beruhigende und haltgebende Qualität eines Naturraums ihre stabilisierende Wirkung entfalten.
Wird eine Naturtherapie von den Krankenkassen bezahlt?
Die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen nur die Kosten für „wissenschaftlich anerkannte“ und sozialrechtlich zugelassene Psychotherapie-Verfahren. Diese Zulassung besitzen derzeit die Psychoanalyse, die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie, die Verhaltenstherapie und die systemische Psychotherapie. Im Rahmen dieser Verfahren ist es durchaus möglich, einzelne Sitzungen in der Natur durchzuführen, nicht jedoch eine Naturtherapie als solche abzurechnen.
Naturtherapie als Leistung von privaten Krankenversicherungen (PKV)
Private Krankenversicherungen handeln in der Regel nach dem gleichen Maßstab. Eine Ausnahme sind Zusatzversicherungen für psychotherapeutische Heilpraktiker-Leistungen. Hierüber können auch Behandlungskosten aus alternativen Heilmethoden, wie z.B. Naturtherapie, erstattet werden. In Kliniken wird Naturtherapie häufig als „Ergänzungsverfahren“ angeboten (ähnlich wie Tanztherapie und Kunsttherapie) und problemlos von den gesetzlichen Kassen bezahlt. Kosten für eine ambulante Gartentherapie werden im Rahmen von ergotherapeutischen Leistungen ebenfalls übernommen.
Wie wird man NaturtherapeutIn?
Naturtherapeutische Weiterbildungen werden meist als berufsbegleitende Block-Seminare angeboten. Nicht alle AnbieterInnen sehen Naturtherapie als eine Form von Psychotherapie. Es gibt auch Angebote, die schamanisch oder pädagogisch orientiert sind oder unter Naturtherapie eher Entspannung und allgemeine Gesundheitsförderung verstehen. Unter den psychotherapeutischen Weiterbildungen sind manche auf einen bestimmten Arbeitsschwerpunkt spezialisiert (z.B. Garten, Wildnis, Lebensübergänge) und/oder setzen einen Schwerpunkt in der therapeutischen Ausrichtung (z.B. humanistisch, systemisch, tiefenpsychologisch, behavioral). Es empfiehlt sich, vor der Anmeldung an einer Informationsveranstaltung teilzunehmen, in der man die Arbeitsweise kennenlernen kann.
Qualität in der Ausbildung als NaturtherapeutIn
Welcher Stellenwert wird z.B. der Selbsterfahrung und den theoretischen Inhalten beigemessen? Wie ist der Lernprozess insgesamt konzipiert? Ist das Angebot eine Fortbildung für professionelle TherapeutInnen, die einige neue Methoden kennenlernen wollen, ohne gleich NaturtherapeutIn zu „werden“? Oder ist die Weiterbildung eher als grundständige Ausbildung konzipiert, die die Entwicklung der naturtherapeutischen Persönlichkeit in den Mittelpunkt stellt? Für eine solche Ausbildung von NaturtherapeutInnen ist die reflektierte Selbsterfahrung innerhalb einer Gruppe und über alle Jahreszeiten hinweg essentiell, daher sind einmalige Kompaktkurse oder gar Fernlehrgänge für diesen Zweck nicht geeignet.
Autorin: Sandra Knümann, Naturtherapeutin, Dozentin und Autorin
Literatur:
Knümann, S. (2019): Naturtherapie – Mit Naturerfahrungen Beratung und Psychotherapie bereichern. Weinheim: Beltz.