Menschenbild der Systemischen Therapie
Das Verfahren der Systemischen Therapie legt größten Wert darauf, den Patienten nicht isoliert zu betrachten, sondern als Teil eines sozialen Systems. In aller Regel ist dabei die Familie im Fokus der Arbeit. Prinzipiell lassen sich Erkenntnisse dieses Verfahrens aber auch auf andere soziale Systeme anwenden (Schulklasse, Team, etc.). Die Vertreter der systemischen Therapie gehen davon aus, dass in jeder Familie und überall dort, wo Menschen zusammenleben oder zusammenarbeiten, bestimmte ausgesprochene oder nicht ausgesprochene soziale Regeln herrschen. Diese können sehr hilfreich und stützend sein, sie können aber auch krank machen. Allerdings ist wichtig zu betonen, dass die systemische Therapie nicht von psychischen „Erkrankungen“ spricht, sondern von mitunter leidvollen Reaktionsweisen auf eine bestimmte soziale Umgebung. Diese Reaktion mag einem Außenstehenden als krankhaft oder unangemessen erscheinen. Letztlich kann darüber aber niemand urteilen. Es ist eben eine mögliche Reaktion, nicht mehr und nicht weniger. Dem entsprechend behandelt die systemische Therapie niemals einen Einzelnen als „psychisch krank“, sondern spricht vielmehr von „Symptomträgern“.
Beispiel für Systemische Sichtweise
Beispiel: Eine junge Frau entwickelt eine Essstörung (Bulimie, Magersucht,…). Wer ist „krank“? Die meisten würden sagen: Natürlich die essgestörte Person! Ein Therapeut der systemischen Schulrichtung hingegen würde die Essstörung der jungen Frau als ein Symptom dafür begreifen, dass etwas im Gesamtsystem der Familie gestört oder krank ist. Dieses „Etwas“ gilt es zu identifizieren und wenn möglich zu beheben. Die systemische Therapie ist dabei darauf angewiesen, dass alle oder möglichst viele Mitglieder des Systems am Gelingen der Therapie mitarbeiten und kooperieren. Die Abstände zwischen den einzelnen Sitzungen sind bei einer systemischen Therapie relativ lang. In der Regel werden im Vergleich zu Verfahren wie Psychoanalyse oder Gesprächstherapie auch weniger Sitzungen angesetzt. Damit ist die systemische Therapie eine sehr effiziente Therapieform. Entscheidend für den Erfolg ist, dass die Mitglieder der Familie sich bemühen, die während der Sitzungen gewonnenen Erkenntnisse sofort in ihrem familiären Alltag umzusetzen. Dazu gibt der Therapeut oft so genannte „Hausaufgaben“ mit auf den Weg, die helfen sollen, im Gesamtsystem der Familie neue Verhaltensweisen und eine neue Art der Kommunikation einzuüben.
Rolle des Therapeuten in der systemischen Therapie
Der Therapeut sieht sich in der Systemischen Therapie als Partner der Ratsuchenden. Statt dem Begriff Patient wird in der Regel Kunde oder Klient bevorzugt. Damit kommt zum Ausdruck, dass bei den betroffenen Personen eine hohe Eigenverantwortung liegt. Damit eine systemische Therapie gelingen kann, braucht es unbedingt das Einverständnis und die aktive Mitarbeit aller Beteiligten. Besteht hier kein Konsens, wird eine systemische Therapie ins Leere laufen.
Anwendungsbereiche der systemischen Therapie
Aus dem bisher Geschriebenen geht hervor, dass die Indikation für eine systemische Therapie gegeben ist, wenn unter der psychischen Erkrankung eines Familienmitgliedes alle anderen mitleiden und eine Familie willens und in der Lage ist, einen unvoreingenommen Blick auf ihre Gesamtstruktur zu riskieren. Dies ist deshalb besonders erwähnenswert, weil es sehr oft nicht der Fall ist. Manche Familiensysteme brauchen nämlich ein Schwarzes Schaf oder einen „Kranken“ in ihrer Mitte, um als Gesamtsystem überhaupt funktionieren zu können. Die „Erkrankung“ eines Familienmitgliedes lenkt von den Problemen im Gesamtsystem ab. Von daher stößt dieses Verfahren auch sehr oft auf innere Widerstände bei den nicht direkt von der Erkrankung betroffenen Familienmitgliedern. Die systemische Familientherapie hat sich, wenn innerhalb des Systems ein weitgehender Konsens besteht, sich darauf einzulassen, als sehr hilfreich und effizient erwiesen.