Was ist christliche Seelsorge?
Die in unserem Kulturkreis wohl älteste Form des therapeutischen Gesprächs ist die christliche Seelsorge. Lange vor Freud und seiner Psychoanalyse suchten die Gläubigen schon bei ihrem „Seelenhirten“ Trost und Rat in schwierigen Lebenssituationen. Bis heute sind Pfarrerinnen und Pfarrer, Pastorinnen und Pastoren für viele Menschen die erste Anlaufstelle für seelische Nöte und Fragen. Doch sind die Seelsorger denn eigentlich für solche Fragestellungen kompetent?
Fundierte seelsorgerliche Ausbildung
Zumindest die Theologen der beiden großen Kirchen in Deutschland durchlaufen während ihrer Studienzeit und in den ersten Dienstjahren eine fundierte seelsorgerliche Ausbildung, die auch die Erkenntnisse der Psychologie mit einbindet. Meist steht das Erlernen von Grundlagen der Gesprächstherapie nach C. Rogers im Mittelpunkt. Pfarrerinnen und Pfarrer in den ersten Dienstjahren reflektieren ihr Verhalten immer wieder in Supervisionsgruppen und unter Anleitung geschulter Ausbilder. Insofern kann man die Frage, ob denn Geistliche der beiden großen Konfessionen kompetente Ansprechpartner sind, getrost bejahen. Allerdings ist es hier wie überall: Nicht jeder Pfarrer, der gut ausgebildet ist, sieht in der Seelsorge auch einen Arbeitsschwerpunkt und häufig nimmt die Seelsorge in der Fülle ebenfalls zu bewältigender Aufgaben wie Verwaltungstätigkeiten, Religionsunterricht u.a. eher eine untergeordnete Rolle ein.
Wie läuft christliche Seelsorge ab?
In der Regel rufen Sie zunächst im Pfarramt an und vereinbaren einen Termin mit dem Pfarrer, der Pfarrerin. Nennen Sie ihr Anliegen. In einem ersten Gespräch wird meist geklärt, ob der Pfarrer denn tatsächlich der richtige Ansprechpartner ist. Ggf. wird er Ihnen geeignetere Adressen nennen können (psychiatrischer Dienst, Beratungsstellen von Diakonie oder Caritas, etc.).
Mit welchen Problemen kann man zu einem Pfarrer kommen?
Entgegen der landläufigen Meinung „behandeln“ Pfarrerinnen und Pfarrer nicht nur Glaubenszweifel oder religiöse Anliegen. Einen breiten Raum nimmt z.B. die Trauerbegleitung nach einem Todesfall ein. Viele Theologen sind außerdem gute und verschwiegene Wegbegleiter, wenn es darum geht, die eigene Biografie, Kindheit, Lebenssituation mit Ihnen zu reflektieren. Theologen haben gelernt, Dinge im Zusammenhang eines größeren Ganzen zu sehen und zu deuten. Sie sind oft gut darin, mit Ihnen gemeinsam eine Art Sinn in dem zu entdecken, was Ihnen widerfuhr.
Die wollen mich doch nur bekehren…
Christliche Seelsorge, zumindest in den beiden großen Kirchen in Deutschland, zielt nicht auf Bekehrung von Ratsuchenden ab. Natürlich gibt es überall schwarze Schafe. Vorsicht ist geboten, wenn Sie den Rat eines Pastors einer etwas extremeren freikirchlichen Gruppierung suchen. Deren Ausbildung unterliegt nämlich nicht denselben fachlichen Standards wie die Ausbildung innerhalb der beiden Großkirchen.
Geistliche Begleitung
Eine Sonderform der christlichen Seelsorge ist die geistliche Begleitung. Hier stehen nicht so sehr die Probleme des Ratsuchenden im Mittelpunkt, sondern eher seine geistliche, spirituelle Entwicklung. Die Ausbildung zum geistlichen Begleiter ist eine Zusatzausbildung, die manche Pfarrerinnen und Pfarrer durchlaufen haben. Hier sind die Fragen angesiedelt, die man gemeinhin mit Kirche oder Glauben in Verbindung bringt: Welcher geistliche, spirituelle Weg ist für mich der richtige? Wie kann ich mich in Meditation üben? Wo nehme ich Gottes Spuren in meinem Leben wahr?
Muss man Mitglied einer Kirche sein, um Seelsorge in Anspruch nehmen zu können?
Das wird unterschiedlich gehandhabt. Als Mitglied einer Kirche steht ihnen der seelsorgerliche Dienst selbstverständlich und kostenfrei zur Verfügung. In der Regel gilt das aber auch dann, wenn Sie kein Kirchenmitglied sind.
Grenzen christlicher Seelsorge
Seelsorger sind trotz ihrer fundierten Ausbildung keine Psychotherapeuten oder Psychiater. Schon deshalb nicht, weil sie in der Regel nicht die Kapazitäten haben, mehr als zwei oder drei Klienten parallel kompetent zu begleiten. Sie können aber gute Dienste leisten, um beispielsweise die Wartezeit auf einen Psychotherapie-Platz zu überbrücken. Es gibt auch Theologinnen und Theologen, die aus eigenem Antrieb eine Ausbildung zum Psychotherapeuten oder Heilpraktiker für Psychotherapie absolviert haben und diese Dienste nun freiberuflich nach dem Heilpraktikergesetz anbieten.
Autorin:
Christiane Müller
Freie Theologin
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