Was ist Gestalttherapie?
Die Gestalttherapie wurde in den 40iger Jahren von dem deutschen Psychiater und Psychoanalytiker Fritz Perls (1883-1970) und seiner Frau, der Gestaltpsychologin Lore Perls (1905-1990) gemeinsam mit dem amerikanischen Literaten und Bürgerrechtler Paul Goodman (1911-1972) entwickelt. Ihr Buch „Gestalt Therapie“ erschien 1951. Der Begriff „Gestalt“ greift auf philosophische Überlegungen aus dem 20 Jahrhundert zurück und wird in der Gestalttherapie gleichbedeutend verwendet mit „Ganzheit“.
Ganzheit in der Therapie (wieder) erfahren
Gestaltpsychologen gehen davon aus, dass der Mensch seine Wahrnehmungen zu sinnvollen Einheiten, „Gestalten“, zusammenzufügen versucht. Alles Erfahrbare – auch eine Begegnung, eine Erinnerung, ein Gefühl – kann eine Gestalt sein. Perls war überzeugt, dass viele Menschen „zersplittert“ sind, ihnen die Ganzheit fehlt. Dadurch erleben sie bewusst auch nur Teile ihrer selbst und sich selbst nicht als Ganzes. Ziel der Gestalttherapie ist es, dem Menschen zu helfen, sich seiner verdrängten, unbewussten Teile bewusst zu werden, sie zu akzeptieren und zu integrieren und so zu einer neuen Ganzheit/ „Gestalt“ zu kommen.
Menschenbild und therapeutische Grundannahmen der Gestalttherapie
Der Mensch hat die Fähigkeit zur Selbstregulierung und Selbstheilung. Er steht in einer ständigen Wechselbeziehung zu seiner Umwelt. Die Gestalttherapie ermutigt zum Experiment und zu neuen Erfahrungen. Sie öffnet einen Raum des Erlebens, in dem Altes wieder auftauchen darf und Neues gewagt werden kann. Der Ausgangspunkt des therapeutischen Arbeitens ist dabei das „Hier und Jetzt“. Denn alles Denken und Fühlen geschieht immer nur in der Gegenwart. Die Vergangenheit können wir nicht verändern. Allerdings können wir unseren Blick auf die Vergangenheit verändern, indem wir auf neue Weise über sie nachdenken. Damit verändert sich auch ihre Wirkung.
Der therapeutische Prozess der Gestalttherapie
Nicht was gesagt, getan oder erinnert wird, sondern wie es passiert, hat in der Therapie großes Gewicht. Durch die Arbeit an der persönlichen Erfahrungsstruktur im Hier und Jetzt wird es möglich, den Kontakt zu sich selbst zu fördern, die Achtsamkeit zu erhöhen und dem Verhalten Tatkraft zu verleihen. Der Therapeut begegnet dabei dem Klienten auf Augenhöhe als Gegenüber. Er ist präsent, am Klienten echt interessiert und lässt sich auch innerlich von ihm berühren. Diese wertschätzende Mitmenschlichkeit des Therapeuten gewährt dem Klienten die Aufrechterhaltung seiner Würde, Unversehrtheit und Selbstbestimmung. Er erfährt sich durch die Beziehung gehalten, auch wenn Teilaspekte der Person kritisch konfrontiert werden. Der Therapeut begleitet den Klienten, aber er zeigt ihm nicht den Weg und geht ihm auch nicht voraus.
Selbstheilung durch neue Erfahrungen
Gestalttherapie ist ein non-direktives Verfahren. Der Therapeut macht dem Klienten seine Ressourcen bewusst, macht ihm Angebote und eröffnet ihm einen experimentellen Raum für neue Erfahrungen. So unterstützt er Selbstregulation – und Selbstheilungsprozesse. Gestalttherapeuten arbeiten erlebnisorientiert. Das heißt, sie unterstützen den Klienten darin, sich und seine Problematik neu/anders zu erleben. Dazu setzen sie neben dem Gespräch oft auch kreative Methoden ein.
Anwendung der Gestalttherapie
Gestalttherapie dient dem Wachstum der Persönlichkeit auf dem Weg zu sich selbst, in ihrer Echtheit, Differenziertheit, Verantwortungsfähigkeit, ihrem Selbstverständnis, ihrer Lebendigkeit, Kreativität und Lebensfreude. Überall, wo Menschen sich nicht (mehr) als „ganz“ erleben können (Depressionen, Ängste, Zwänge; Abhängigkeiten und Sucht; Folgen von Überforderungen und Krisen) öffnet sie den Raum für ein neues, alternatives, ganzheitliches Erleben.
Ausbildung in Gestalttherapie
Gestalttherapie kennt eine große Methodenvielfalt und ist integrativ im Hinblick auf andere therapeutische Verfahren. Zertifizierte GestaltberaterInnen, GestalttherapeutInnen und Ausbildungsinstitute für Gestalttherapie findet man auf der Homepage der DVG: Die „Deutsche Vereinigung der Gestalttherapie e. V.“ ist der größte Dachverband für Gestalttherapeutinnen und GestalttherapeutInnen (www.dvg-gestalt.de). Der Verband hat Standards für Ausbildungsinstitute festgelegt und so Qualifikations- und Qualitätskriterien festgelegt. Die DVG ist auf Bundesebene unter anderem Gründungsmitglied der Arbeitsgemeinschaft Humanistischer Psychotherapie (AGHPT), Mitglied des Berufsverbandes Akademischer PsychotherapeutInnen e.V. (BaPT) sowie der DeutschenGesellschaft für Beratung (DGfB). Der Verband ist breit vernetzt und kämpft seit Jahren darum, auch durch die gesetzlichen Krankenkassen als psychotherapeutisches Verfahren anerkannt zu werden. Einige Gestaltinstitute bieten darüber hinaus weiterführende Ausbildungen mit spezifischen Schwerpunkten an, z. B. in „Gestaltpädagogik“, „Paarberatung/therapie“ oder „Supervision und Coaching“.
Autorin: Dr. Elke Seifert
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