Geschichte und Wissenswertes zur Blutegel-Therapie
Die schon vor 3000 Jahren erwähnte Anwendung von Blutegeln in der Heilkunst gehörte im Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert zu den am häufigsten eingesetzten Therapieformen. Hierbei wurden bis zu 100 Blutegel angesetzt, was den Blutegel fast vom Aussterben bedrohte. Die Entwicklung von Antibiotika, die operative Medizin und moderne Therapieverfahren ließen die bewährte Blutegeltherapie dann fast in Vergessenheit geraten, ehe sie in den 80er Jahren eine Renaissance erlebte. Zur Behandlung von Menschen darf nur eine bestimmte Egelart eingesetzt werden, die seit 2005 als Fertigarzneimittel eingestuft wird: Der Hirudo medicinalis. Er hat eine bräunliche bis olivgrüne Farbe, sechs meist rötliche Längsstreifen auf dem Rücken und schwarze Flecken auf dem Bauch.
Vorgaben zur Blutegel-Therapie
Es gibt strenge Vorgaben vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), die dem Infektionsschutz dienen. Für die Aufzucht dieser medizinischen Egel wird z.B. Pferdeblut aus zertifizierten Gestüten verwendet. Damit sinkt das Risiko, dass sich die Egel vor ihrem therapeutischen Einsatz von Tierblut ernährt haben, das Bakterien, Viren oder andere Krankheitserreger enthält. Gleichzeitig geschlüpfte Blutegel bekommen die gleiche Chargennummer, sodass bei Komplikationen eine Nachvollziehbarkeit gewährleistet ist. Nach etwa sechs Monaten haben die Egel eine Länge von ca. fünf Zentimetern erreicht, was in der freien Natur etwa zwei bis drei Jahre dauern würde. Die Tiere erhalten dann ein letztes Mal Pferdeblut und kommen für mindestens drei Monate in Quarantäne, danach kommen sie zum Therapeuten.
Wann werden Blutegel eingesetzt?
Die Blutegeltherapie zählt ebenso wie der Aderlass oder das Schröpfen zu den Ausleitungsverfahren, bei denen die Ausscheidung von Schlackenstoffen und anderen Schadstoffen angeregt wird, was zu einer Entlastung des gesamten Organismus führen kann.
Indikationen der Blutegel-Therapie
• Venöse Stauungen bei Replantationen und Hauttransplantationen
• Venöse Stauungen und Venenentzündungen (Krampfadern)
• Lymphstauungen, z.B. bei Brust-Op’s
• Hämorrhoiden
• Tinnitus
• Kopfschmerzen, Migräne
• Dysmenorrhoe (schmerzhafte Regelblutung)
• Furunkel, Karbunkel und Abszesse
• Herpes zoster (Gürtelrose)
• Hypertonie (Bluthochdruck)
• Blutergüsse (Hämatome)
• Arthrose
• Entzündungen von Gelenken
• Sehnenscheidenentzündungen
• Muskelverspannungen
• Verstauchungen und Zerrungen
• chronischen Nacken-, Schulter- und Rückenbeschwerden.
Wirkweise der Blutegel-Therapie
Der Blutegel besitzt fünf Augenpaare am Kopf und hat an beiden Enden seines Körpers Saugnäpfe. Mit einem Saugnapf klammert er sich an seinem Wirt fest und mit dem anderen Saugnapf, in der sich auch die Mundöffnung und die Speicheldrüsen befinden, tastet er nach einer geeigneten Bissstelle. Dann beißt der Egel mit seinen drei Kiefern zu, auf denen sich ca. 60-100 „fräsende“ Kalkzähnchen befinden. Der Biss ist kaum schmerzhaft, da der Speichel der Egel eine Substanz enthält, die die Bissstelle betäubt.
Blutegeltherapie Anwendung
Die Speicheldrüsen der Blutegel sondern hierbei während des Saugvorgangs ca. 100 identifizierte Stoffe ab, unter anderem Hirudin, Calin und Eglin, welche gemeinsam blutverdünnend, antientzündlich, lymphstrombeschleunigend, gefäßerweiternd sowie schmerzstillend sind. Hierbei kann der Egel in etwa 30 bis 60 Minuten bis zum Fünffachen seines Körpergewichts an Blut saugen, dickt das aufgenommene Blut noch während des Saugvorgangs ein, konserviert es mit Hilfe von speziellen Darmbakterien und scheidet das Wasser über die Haut aus. Wenn der Blutegel satt ist, fällt er selbständig von seinem Wirt ab und muss bis zu einem Jahr lang keine Nahrung mehr aufnehmen.
Ablauf der Blutegel-Therapie
Da Blutegel äußerst sensible Tiere sind, darf der zu therapierende Bereich zwei Tage vorher nur mit klarem Wasser gewaschen werden. Ausdünstungen von Alkohol oder Tabak, Aromen aus Duschgels und Duftwässern, Cremes, Arzneistoffe, Hektik, Unruhe des Therapeuten, Lärm, Erschütterungen, grelles Licht und selbst auch ein Gewitter können ihnen den Appetit verderben und ihre Beißfreude mindern.
Einsatz der Blutegel durch den Therapeuten
Der Blutegel wird mit einer Pinzette oder Einmalhandschuhen auf den zu therapierenden Hautbereich gesetzt und zum Beispiel mit einem umgestülpten Glas in Position gehalten. Hat der Blutegel angebissen, gibt er während des gesamten Saugvorgangs sein Speichelsekret in die Wunde ab, nimmt ca. 5-10 mm Blut auf und fällt nach ca. 30-90 Minuten von alleine ab. Man darf das Tier niemals gewaltsam entfernen, weil sonst die Gefahr besteht, dass ein Teil seines Kiefers in der Wunde verbleibt und dort eine Entzündung auslöst oder dass durch das Quetschen beim Abreißen der Egel seinen Mageninhalt erbricht und eine Infektion verursachen könnte.
Wundreinigung bei der Blutegeltherapie
Nachdem die Egel abgefallen sind, werden die Bissstellen mit einem losen dicken Verband versorgt. Die gewünschte Nachblutung der Wunden von 4 bis 12 Stunden, selten bis zu 24 Stunden, dient der Wundreinigung, hat einen entstauenden Effekt und sollte keinesfalls unterbunden werden. Hierbei verliert der Patient pro Egel 50-100 ml Blut. Am Tag der Behandlung sollte sich der Patient ausruhen, körperliche Betätigung vermeiden und zur Unterstützung des Kreislaufes viel Trinken.
Nebenwirkungen der Blutegel-Therapie
Ernste Nebenwirkungen wie Wundinfektionen oder Entzündungen der Lymphbahnen kommen insgesamt selten vor. Mückenstichartiger Schmerz zu Beginn der Behandlung, Jucken, Brennen, Rötungen, lokales Spannungsgefühl und Lymphknotenschwellungen können häufiger auftreten. Allergien auf Bestandteile des Blutegelspeichels kommen bisweilen vor. Eine Narbenbildung ist möglich. Im Einzelfall wird eine antibiotische Prophylaxe empfohlen.
Blutegeltherapie Kontraindikationen
• angeborene und erworbene Blutgerinnungsstörungen, z.B. durch die Einnahme von blutverdünnenden Medikamenten, wie z.B. Acetylsalicylsäure, Marcumar, Heparin oder Clopidogrel
• hohe Allergiebereitschaft oder bekannte Allergie auf das Sekret des Blutegels
• ein stark geschwächtes Immunsystem bzw. Einnahme von Immunsupressiva
• überschießende Narbenbildung
• Patienten mit Blutarmut
• Schwangere
• Patienten, die zu Wundheilungsstörungen neigen (zum Beispiel Diabetiker) oder eine akute Infektion aufweisen.
Zu beachten ist, dass die Blutegel nicht direkt über einer offenen Wunde, einer Vene, einer Krampfader oder einer Entzündung angesetzt werden, da es sonst zu starken und andauernden Nachblutungen kommen kann.
Entsorgung von Blutegeln
Das BfArM verbietet aus Sicherheitsgründen die Wiederverwendung und das Aussetzen medizinischer Blutegel nach dem Gebrauch. Somit müssen die Tiere nach Gebrauch getötet werden. Dies kann entweder durch Erfrieren oder das Einlegen in Spiritus erfolgen. Das Aussetzen in der freien Natur ist aus Umweltschutzgründen nicht gestattet. Allerdings bieten „Hersteller“ von Blutegeln an, diese zurückzunehmen. Sie verdienen sich dann ihren wohlverdienten Ruhestand in einem extra dafür angelegten Rentnerteich.
Autor:
Werner Herd
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