
Was sind Systeme?
Systeme sind soziale Netzwerke die sich durch komplexe Kommunikationsprozesse aufrecht erhalten und ihre Wirklichkeit damit beschreiben bzw. gestalten. Kommunikation kann sowohl nonverbal (also durch bestimmtes Verhalten, Mimik oder Gestik), als auch verbal (durch Sprache oder Laute) erfolgen. Die Familie, der Freundeskreis oder das berufliche Umfeld einer Person, aber auch Gemeinden und Staaten werden als Systeme bezeichnet. Alle Elemente eines Systems und auch alle Systeme stehen in ständiger Verbindung bzw. Wechselwirkung und tauschen Informationen aus.
Was ist Zirkularität?
Die Kommunikation, also die Weitergabe von Informationen in Systemen, geschieht zirkulär. Das heißt, dass eine Kommunikationsbotschaft von Person A zu Person B, auch Auswirkungen auf Person C, D, E und F hat. Deren Reaktion darauf beeinflusst wiederum die Kommunikation aller Beteiligten und immer so weiter. Kommunikation als zirkulär zu verstehen ist zentrales Merkmal der systemischen Beratung und systemischer Therapie. Der Begriff Zirkularität meint, dass Kommunikation nicht Kausal (von A nach B) verläuft, sondern von Rückkopplungsprozessen beeinflusst wird, die durch die Beteiligung der verschiedenen Personen entstehen.
Beispiel für Zirkularität
Beispiel: Mutter und Vater tauschen sich über das Verhalten ihres Sohnes aus, welches sie für unangemessen halten. Dies wird durch die Tochter bemerkt. Da sie das Ansehen ihrer Eltern nicht verlieren möchte, zeigt sie das entsprechende Verhalten nicht, was die Eltern dazu veranlasst eine deutliche Diskrepanz zwischen dem Verhalten ihres Sohnes und dem ihrer Tochter wahrzunehmen, worauf sie ihren Sohn aufmerksam machen („…wenn du nur ein bisschen mehr von deiner Schwester hättest…“). Der Sohn fühlt sich isoliert und zugleich tritt er mit seiner Schwester in Konkurrenz. Der Konflikt verschärft sich und der Sohn zeigt weitere Verhaltensweisen, die von den übrigen Familienmitgliedern sanktioniert werden.
Erläuterung: Sie können sich vorstellen, dass dieser Konflikt das Potenzial zur weiteren Eskalation in sich trägt, wenn nicht neue Kommunikationsversuche von den Beteiligten initiiert werden. So könnte die Mutter das Verhalten des Sohnes der nahenden Pubertät zuordnen und so „normalisieren“. Alternativ könnte die Schwester sich mit ihrem Bruder solidarisieren und so dazu beitragen, dass keine weitere Diskrepanz im Verhalten der Geschwister wahrgenommen wird. Vielleicht könnten die Eltern das Verhalten ihres Sohnes auch als Reaktion auf die durch die Eltern verschärfte Geschwisterrivalität verstehen.
Zirkuläres Fragen: Was sind zirkuläre Fragen?
Zirkuläres Fragen zielt darauf ab, die oben beschriebenen Rückkopplungsprozesse sichtbar zu machen, sie zu unterbrechen oder zu verändern. Durch zirkuläres Fragen wird das System eingeladen neue Informationen zu generieren und anderes als vorher zu kommunizieren. Wenn Sie den oben beschriebenen Konflikt betrachten, kann zirkuläres Fragen dazu beitragen die Beschreibung der Wirklichkeit (Verhalten des Sohnes) zu verändern.
Beispiel für zirkuläres Fragen
Eine Familientherapeutin könnte zum Beispiel die Schwester fragen:
Was glaubst du wie es deinem Bruder geht, wenn er sieht wie deine Eltern sich über sein Verhalten ärgern und dich für dein Verhalten loben?
Was denkst du, aus welchem Grund dein Bruder und deine Eltern sich im Moment streiten?
Die Eltern könnte sie fragen:
Was glauben Sie, möchte Ihr Sohn mit seinem Verhalten Ihnen gegenüber bezwecken?
Was denken Sie, wie es ihrer Tochter geht, wenn sie das Verhalten ihres Bruders sieht?
Was glauben Sie, welche Art von Veränderung würde sich ihr Sohn von Ihnen wünschen und was würde er machen, wenn sie dieses Verhalten zeigen?
Zirkuläres Fragen als Intervention
Eine zirkuläre Betrachtungsweise ermöglicht es die Wirklichkeitsbeschreibung des Gefragten zu ergänzen, neue Informationen zu generieren und lädt zur einfühlsamen Perspektivübernahme ein. So kann gemeinsam eine neue Betrachtungsweise entwickelt werden. Festgefahrene Überzeugungen werden aufgeweicht. Zudem können im weiteren Vorgehen Rückkopplungsprozesse unterbrochen oder verändert werden.
Beispiel: Sie haben gerade gesagt, dass ihr Sohn sein Verhalten vermutlich zeigt, weil er mit manchen Dingen Sehr unzufrieden ist und sich mehr Anerkennung von Ihnen wünsche. Ihnen falle es jedoch aufgrund seines Verhaltens schwer diese auszudrücken. Wie wäre es, wenn sie ab heute ihren Sohn dafür Loben, dass er sie darauf aufmerksam mache, dass er sich Anerkennung wünsche? Die Eltern finden die Idee sowohl absurd als auch amüsant, wollen sich darauf jedoch einlassen. Zuhause kommt es dadurch widerholt zu Gelächter, wenn die Eltern versuchen das Verhalten des Sohnes zu loben.
Nutzen von zirkulärem Fragen
Dadurch, dass die Eltern das Verhalten ihres Sohnes anders deuten als bisher und auf eine andere Art und Weise darauf reagieren, stoßen sie neue Rückkopplungsprozesse an. Das muss nicht heißen, dass direkt alle Probleme gelöst sind, jedoch kann in folgenden Gesprächen dann mit den Ergebnissen aus diesen Rückkopplungsprozessen weitergearbeitet werden.
Autor: Pascal Hartmann-Boll
Das könnte auch für Sie interessant sein
Systemisches Coaching – ein moderner Beratungsansatz
Positive Psychologie – der Mensch auf der Suche nach Glück
Fantasiereisen – ein Weg zu innerer Kraft und Ausgeglichenheit