Philosophie der Somatic Experiencing (SE)®
Das therapeutische Verfahren des Somatic Experiencing (SE)® ist eine Form der Traumatherapie. Sie geht auf den Psychologen und Biophysiker Dr. Peter Levine zurück (USA, 70er Jahre). Die SE orientiert sich in der Bearbeitung traumatischer Erfahrungen an biologischen Mechanismen. Grundsätzlich stehen einem Menschen (und überhaupt allen Lebewesen, die über ein zentrales Nervensystem verfügen) für das Überleben von Bedrohungen drei Mechanismen zur Verfügung: Kampf, Flucht und Erstarrung. Diese werden von den ältesten Regionen im Gehirn initiiert und gesteuert, dem Stammhirn. Sie entziehen sich der rationalen Kontrolle. Weil das so ist, so der Ansatz der SE, ist die vollständige Bewältigung eines Traumas auch nicht auf der kognitiven Ebene oder durch die Bearbeitung der Emotionen allen möglich.
Wie funktioniert Somatic Experiencing (SE)®?
Die SE führt psychische Traumafolgeschäden darauf zurück, dass die vom Stammhirn initiierten Vorgänge, die dem Überleben dienten, nicht vollständig ablaufen konnten und nicht damit verbundene körperliche und seelische Anspannung nicht vollständig abgebaut werden konnte. Daher verbleibt ein Teil des traumatisierten Menschen auch Jahre später noch im Trauma, also in einer ständigen inneren Alarmbereitschaft. Das kann sich durch die Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung äußern, oder auch durch scheinbar ganz banale Dinge: Ich werde aggressiv, wenn mir beim Einkaufen im Supermarkt jemand zu nahe kommt (Kampf). Ich fühle mich innerlich gelähmt, wenn ich einem mir unangenehmen Menschen begegne (Erstarrung). Wenn es bei der Arbeit stressig wird, dann möchte ich mich am liebsten verkriechen (Flucht).
Auflösung von belastenden Reaktionen
Die SE will solche posttraumatischen Reaktionen auflösen, indem sie daran arbeitet, dass die natürlichen körperlichen und biologischen Prozessen, die durch das Trauma initiiert wurden komplett ablaufen können. Damit tritt Erleichterung ein. Der Patient (bzw. sein Stammhirn, sein Körper) realisiert, dass er überlebt hat. Der Körper fährt seine Mechanismen zum Überlebenskampf herunter. Der Patient nimmt sein Trauma nicht mehr mit in den Alltag.
Was geschieht während einer Somatic Experiencing (SE)® Therapie?
Wie bei jeder Form der Traumatherapie geht es auch bei der Anwendung der SE zunächst einmal darum, den Patienten zu stabilisieren. Der Therapeut erkundet gemeinsam mit dem Patienten dessen Ressourcen (wie soziale Kontakte, Bewusstmachen der eigenen Stärke, etc.). Das ist wichtig, denn im Laufe der Therapie geht es nun darum, an dem traumatischen Ereignis selbst zu arbeiten (Traumaexposition).
Verhinderung von Überforderung und Retraumatisierung
Im weiteren Verfahren erfolgt die Arbeit am Trauma dosiert, um eine Überforderung des Patienten und eine Retraumatisierung zu vermeiden. Dabei wird die Aufmerksamkeit vor allem auf körperliche Reaktionen beim Patienten gelenkt. Es geht nicht so sehr um die aktiven Erinnerungen. Vielmehr rücken die so genannten Körpererinnerungen in den Fokus. Diese gilt es wahrzunehmen, bewusst zu machen, ihnen Raum zu schaffen, damit sie ungehindert ablaufen können. Dadurch werden Spannungen abgebaut und ein Gefühl der Erleichterung tritt ein. Die bevorzugte Methode der SE ist das Gespräch zwischen Therapeut und Patient. Die SE arbeitet mit den drei Prinzipien Bewusstheit, Achtsamkeit und Langsamkeit.
Monotrauma und Traumasystem
Die SE unterscheidet zwischen einem Monotrauma und ganzen Traumasystemen. Ein Monotrauma ist ein einzelnes Ereignis, das beim Patienten ein Trauma ausgelöst hat. Ein Traumasystem ist ein Zusammenhang von kleineren und größeren traumatisierenden Erfahrungen, die miteinander im Zusammenhang stehen. Dabei müssen die Ereignisse nicht kausal zusammenhängen, aber die Psyche des Patienten stellt einen Zusammenhang her.
Anwendungsbereiche der SE
Die SE geht davon aus, dass die meisten oder sehr viele Menschen ganze Traumasysteme in sich tragen, die sie im Alltag mehr oder weniger stark blockieren. Daher ist die Anwendung der SE nicht nur für Menschen geeignet, die sich mit einem „frischen“ Trauma in Behandlung begeben (z.B. Soldaten nach einem Afghanistan-Einsatz), sondern im Grunde für fast jeden Menschen, der sich psychischer Probleme bewusst ist. Eine Indikation ist nicht nur bei Patienten mit PTBS gegeben, sondern auch bei Erkrankungen wie Angststörungen, reaktiver Depression oder allgemein sehr vielen psychogenen Erkrankungen.
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