Rollenspiele im Praxisalltag
Sehr oft und unabhängig von der psychologischen Ausrichtung des Therapeuten wird, neben den unterschiedlichen Fragetechniken und der Externalisierung, zu Rollenspielen gegriffen, wenn der Patient/Klient eine neue Routine oder Handlung im Alltag anwenden soll. Durch das „Durchspielen“ von Reaktion und Handlung in bestimmten, meist stark Stress behafteten Situationen, lernt der Betroffene eine Vorgehensweise kennen, die entweder besser durch das Umfeld akzeptiert wird oder diese einen neuen, positiveren Effekt als bisher verspricht. Außerdem kann durch das Einüben einer bestimmten Reaktion oder Handlung der empfundene Stresslevel reduziert werden, denn nun weiß die jeweilige Person ja, wie sie angebracht reagieren und sogar agieren kann. Durch das vorausschauende Agieren erhöhen wir zudem unsere Chance, Situationen bewusst zu unseren Gunsten lenken zu können.
Rollenspiele in der Therapie: Anwendungsgebiete
Das Rollenspiel erfordert kein schauspielerisches Talent. Es entstammt jedoch der Theater- und Dramatherapie und wird in allen psychosozialen Feldern angewandt, unter anderem bei Depressionen, Ängsten, Zwängen, Traumata, Burn-out, Essstörungen, Persönlichkeitsstörungen sogar bis hin zu Psychosen. Das Rollenspiel wird zur Selbsterfahrung eingesetzt bei:
- Problemen mit der Kommunikation und sozialem Verhalten,
- Schwierigkeiten Gefühle und Bedürfnisse angemessen auszuleben,
- mangelndem Selbstvertrauen,
- Schwierigkeiten bei der Verarbeitung von Konflikten,
- Macht- und Autoritätsproblemen,
- Aufarbeiten von Kindheitserlebnissen.
Dem Klient wird durch das Rollenspiel seine eigene Stärke(n) bewusst und erfährt dadurch Bestätigung seiner Handlungsfähigkeit.
Die „Väter“ der Theater- und Dramatherapie
Jacob Levy Moreno (1889 – 1974) ist nicht nur der Begründer des Psychodrama und der Soziometrie, die besonderes in Gruppentherapien von Bedeutung ist. Er war bevor er zur Medizin kam – sozusagen in seinem ersten Leben – Theaterschauspieler. Moreno wollte eine handlungsorientierte Methode, die einen Hauptfokus auf den Einzelnen innerhalb eines Gruppensettings zu legen vermag.
Dieser Hauptakteur erhält die Möglichkeit sein Thema unter Anleitung des Therapeuten als Spielleiter und den anderen Gruppenmitgliedern als weitere Darsteller „auf die Bühne“ zu bringen. Die als Zuschauer verbleibenden Gruppenmitgliedern werden durch das Spiel berührt und geben am Ende ein empathisches Feedback – auch wie weit diese Handlung in ihrem eigenen Leben von Bedeutung ist und welche Lebenserfahrung sie selbst damit verbinden. Das Psychodrama hat einen klar formulierten Methodenkatalog wie z. B. das Doppeln, Rollentausch, Spiegeln usw. und arbeitet vor allem klientenzentriert und biografisch.
Vladimir Iljine (1890 – 1974) hat mit seinem Konzept des therapeutischen Theaters eine viel weitreichendere und tiefschichtigere Methode entwickelt. Diese umfasst Stückentwicklung, Inszenierung und Aufführung und wird von den Gruppenmitgliedern selbstständig erarbeitet. Das Stück wird aus den Themen der Teilnehmer entwickelt und bietet den Rahmen, in dem die Szenen improvisiert werden. Iljine übertrug die Begriffe des Theaters auf das Leben, da nach seiner Auffassung das gesamte Leben an sich einem Theaterspiel entspricht. Dabei werden Fragen aufgeworfen, wie z.B.: „Welche Rolle habe ich in meinem eigenen Leben?“ „Wie sieht das Drehbuch meines Lebens aus?“ „Welchen Namen hat das Stück?“ „Wie inszeniere ich meine Symptome?“ Dabei ging es Iljine darum Ressourcen zu stärken und Lösungen zu finden. Daher steht bei der Theatertherapie die Prozessorientierung im Vordergrund.
Rollenspiele in der Therapie und bekannte Namen
Viele weitere Vertreter haben weitere Verfeinerungen und Aspekte hinzugefügt. Darunter so bekannte Namen wie Robert Landy, Sue Jennings oder Susana Pendzik.
Aber nicht nur in Gruppen, sondern auch in der Einzeltherapie kann das Rollenspiel eingesetzt werden. Der Therapeut wird dann aktiv eine der Rollen übernehmen, z. B. wenn eine Situation wie ein Gespräch mit spezifischem Inhalt durchgespielt werden soll. Dadurch wird der Effekt der Übertragung auf den Therapeuten als Projektionsfläche verstärkt und dem Klienten bewusst vor Augen geführt.
Aktive Arbeit am Problemfeld durch Rollenspiele
Das Rollenspiel ermöglicht auf intensive Weise für das thematische Problemfeld Lebenserfahrungen durch zu spielen. Mittels kleiner strukturierter Theaterszenen können die Klienten ihre eigene Ausdrucksweise entwickeln. Da nicht direkt an realen lebensgeschichtlichen Szenen des Patienten gearbeitet wird, sondern an einer fiktiven Konstellation, erfolgt eine Distanzierung vom Hintergrund des Klienten. Dadurch kann eine größere Annäherung an die Grundthematik erfolgen.
Die Ziele des Rollenspiels im Einzel- oder Gruppenangebot sind daher auch:
- die eigene Rolle erkennen,
- sich in andere Rollen versetzen und Handlungsalternative erproben,
- mit Menschen in Kontakt kommen und diesen auch halten,
- Gefühle ausdrücken,
- belastende Erlebnisse verarbeiten,
- sich in unvertrauten Situationen üben und erleben,
- sich selbst von außen zu sehen und zu beobachten.
Dabei werden Metaphern, Archetypen und Symbole sprachlich durch den Therapeuten eingesetzt.
Weiterführende Literatur:
Landy, Robert (1993) Persona and Performance, the meaning oft he role in drama, therapy and every day life, (London and Bristol, Pennsylvania)
Moreno, Jacob L. (1947) Theater of Spontaneity – 2010 Edition The North-West Psychodrama Association
Goffman, Erving (1991) Wir alle spielen Theater. Die Selbstdarstellung im Alltag. München: Piper Verlag